Das weiße Taschentuch

Der Mann saß auf dem Gehsteig neben der Bushaltestelle und starrte zu Boden. Ein paar Leute musterten ihn im Vorübergehen neugierig und fragten sich, was das wohl für einer sein mochte, der Landstreicher mit hängenden Schultern und den durchgelaufenen Schuhen. Er aber bemerkte ihre Blicke gar nicht. Er war ganz in Gedanken versunken. Hier, in dieser Stadt, hatte er seine Kindheit verbracht. Vor mehr als zwanzig Jahren war er in einem kleinen roten Ziegelhaus am Ende der nächsten Straße aufgewachsen. Ob es überhaupt noch stand? Vielleicht war es ja inzwischen abgerissen worden! Hoffentlich hatten sie wenigstens die Stiefmütterchen nicht zertrampelt! Komisch, wie gut er sich noch an die Stiefmütterchen erinnerte und an die Schaukel, die ihm sein Vater gebaut hatte, und an den Gartenweg, auf dem er das Fahrradfahren gelernt hatte. Monatelang hatten die Eltern gespart, um ihm das Fahrrad kaufen zu können.

Zehn Jahre später war aus dem Fahrrad ein Motorrad geworden. Er selbst ließ sich zu Hause immer seltener blicken. Er verdiente gut und hatte eine Menge Freunde. Vater und Mutter erschienen schrecklich altmodisch und langweilig. Da war es in den Kneipen und Discos doch lustiger! Heute erinnerte er sich nicht mehr gern an diese Zeit, vor allem nicht daran, wie ihm die Schulden über den Kopf gewachsen waren und er an einem Sonntagnachmittag bei den Eltern aufgetaucht war, um sie um Geld zu bitten. Sie hatten sich so über seinen unerwarteten Besuch gefreut, dass er es nicht übers Herz gebracht hatte, sie um Geld zu bitten. Doch er wusste genau, wo sein Vater das Portmonee aufbewahrte, und als die Eltern für einen Augenblick in den Garten gingen, hatte er sich einfach „bedient“.

Seither hatte er sie nicht mehr gesehen. Er traute sich nach dem, was er getan hatte, nicht mehr nach Hause; und die Eltern hatten jede Spur von ihm verloren. Er war ins Ausland gegangen und sie erfuhren nichts von seinem rastlosen Umherziehen und auch nichts von seinem Gefängnisaufenthalt. Doch dort, in seiner Zelle, hatte er viel an sie gedacht. Manchmal, wenn er sich schlaflos auf seiner Pritsche herumwälzte und der Mond unheimliche Figuren auf die Zellenwand malte, wünschte er sich: „Wenn ich erst wieder aus diesem Loch heraus bin, möchte ich sie noch einmal sehen – wenn sie überhaupt noch leben … und wenn sie mich sehen wollen.“

Als er seine Strafe abgesessen hatte, fand er in der Großstadt eine Arbeitsstelle; aber Ruhe fand er nicht. Irgendetwas zog ihn heim, eine Sehnsucht, die sich nicht zum Schweigen bringen ließ. Auf Schritt und Tritt wurde er an das kleine rote Backsteinhaus erinnert, an das Beet mit den Stiefmütterchen an ein Kind auf einer Schaukel, an einen Jungen, der von der Schule nach Hause rannte …

Er wollte nicht völlig mittellos daheim ankommen, und so legte er einen großen Teil der Reise zu Fuß oder per Anhalter zurück. Er hätte schon längst da sein können, aber dreißig Kilometer vor dem Ziel waren ihm plötzlich Zweifel gekommen. Was hatte er überhaupt für ein Recht, einfach so bei seinen Eltern hereinzuspazieren? Würden sie in dem heruntergekommenen Kerl, der er geworden war, überhaupt den Jungen erkennen, den sie geliebt hatten und der sie so schrecklich enttäuscht hatte?

Er kaufte sich etwas zu essen und setzte sich unter einen Baum, wo er für den Rest des Tages sitzen blieb. Der Brief, den er am Abend in einen Briefkasten einwarf, war sehr kurz, aber er hatte sich stundenlang damit abgemüht. Er endete mit den Worten: „Ich weiß, es ist verrückt anzunehmen, dass ihr mich überhaupt noch einmal sehen wollt. Aber entscheidet selbst. Ich werde früh am Donnerstagmorgen ans Ende unserer Straße kommen. Wenn ihr mich zu Hause haben wollt, dann hängt ein weißes Taschentuch ins Fenster meines alten Zimmers. Wenn ich es dort sehe, werde ich zu euch kommen; wenn nicht, werde ich dem alten Haus noch einmal zuwinken und mich wieder davonmachen.“

Und nun war Donnerstagmorgen da. Der Anfang der Straße war gleich um die Ecke. Diese Straße gab es jedenfalls noch! Auf einmal hatte der Mann es nicht mehr eilig. Er setzte sich auf den Gehsteig und starrte die Steine an. Ewig konnte er den Augenblick der Wahrheit natürlich nicht hinauszögern. Vielleicht waren seine Eltern inzwischen ausgezogen? Wenn kein Taschentuch da war, wollte er wenigstens ein paar Erkundigungen in der Stadt einziehen, ehe er sich wieder auf den Weg machte. Er wagte gar nicht daran zu denken, was er tun sollte, wenn seine Eltern zwar noch dort wohnten, ihn aber nicht sehen wollten.
Mühsam und mit schmerzenden Gliedern erhob er sich. Er war steif vom Übernachten im Freien. Die Straße lag noch im Schatten. Mit unsicheren Schritten wankte er zu der alten Platane hinüber, von der aus, das wusste er, das Backsteinhaus deutlich zu sehen sein würde. Bis dahin hielt er den Blick zu Boden gesenkt.
Mit fest zusammengekniffenen Augen stand er ein paar Augenblicke unter den Ästen des Baumes. Dann holte er tief Luft und wagte den Blick zum anderen Ende der Straße hinüber. Und dann stand er da und starrte und starrte …

Das kleine Backsteinhaus wurde bereits von der Sonne beschienen – aber es war kein kleines rotes Backsteinhaus mehr. Es schien ganz in weiße Tücher eingehüllt zu sein. Aus allen Fenstern hingen Betttücher und Kissenbezüge, Handtücher und Tischdecken, Taschentücher und Servietten; und aus dem Dachfenster flatterte eine große, weiße Gardine quer über das ganze Dach. Rotes Backsteinhaus? Das schien ein Schneehaus zu sein, das da in der Sonne glänzte!
Die Eltern hatten kein Missverständnis riskieren wollen! Der Mann warf den Kopf zurück und stieß einen Freudenschrei aus. Dann rannte er über die Straße und durch die weit geöffnete Haustür direkt in die Arme seiner Eltern.

— von Patricia St. John, aus „So groß ist Gott“


Diese Geschichte steht so ähnlich auch in der Bibel. Du kannst sie in Lukas 15 Verse 11 bis 32 nachlesen. Gott wartet wie liebender Vater darauf, dass wir zu ihm umkehren und in seine liebenden Vaterarme laufen. Fühlst du dich von deinem Leben enttäuscht? Hast du alles verloren, keine Freunde, keine Arbeit, keine Familie, kein Geld mehr und siehst du kein Sinn mehr in deinem Leben?

Dann dreh dich um zu Gott, der dich liebt, und laufe zu ihm. Er wartet sehnsüchtig darauf, dich in seine Arme schließen zu können und dir wieder Freude und ein sinnerfülltes Leben zu schenken. Warte nicht länger – komme HEUTE!

„Wag den Sprung in Gottes Hände, lass dich fallen wie ein Kind! Du sollst wissen, dass am Ende nur, wer Gott vertraut gewinnt. Wenn du dich auf ihn verlässt, hält er dich für immer fest. Wag den Sprung in Gottes Hände, lass dich fallen wie ein Kind.

Niemand soll verloren gehen, alle sind von Gott geliebt. Bleib nicht länger zweifelnd stehen, weil es Rettung für dich gibt. Nimm es jetzt im Glauben an, was der Herr für dich getan. Niemand soll verloren gehen, alle sind von Gott geliebt.

Komm und nimm aus Gottes Händen jetzt das neue Leben an! Jesus will dein Schicksal wenden, er hat für dich einen Plan. Schlage seine Hand nicht aus, geh zurück zu Vaterhaus. Komm und nimm aus Gottes Händen jetzt das neue Leben an.“ – LOBEN Nr. 135

„Vater, ich komme jetzt zu dir, als ein Kind lauf ich in deine Arme. Ich bin geborgen, du stehst zu mir, lieber Vater.
Vater, bei dir bin ich zu Hause, Vater, bei dir berge ich mich. Vater, bei dir finde ich Ruhe, o mein Vater, ich liebe dich.
Vater, du gibst mir was ich brauch, du empfängst mich mit offenen Armen. Du füllst all meine Sehnsucht aus, lieber Vater.
Vater, bei dir bin ich zu Hause, Vater, bei dir berge ich mich. Vater, bei dir finde ich Ruhe, o mein Vater, ich liebe dich.“ – LOBEN Nr. 71